Exkursion 2014

Südtirol

Am Morgen des 18. Juni 2014 starteten Mitglieder und Gäste der Sektion Hessen zu ihrer 42. Exkursion; Zielgebiet war Südtirol. Zu Beginn der Reise erhielten die Teilnehmer einen umfangreichen Exkursionsführer. Die Hinfahrt erfolgte über Würzburg zunächst bis Ulm, wo im Rahmen der Mittagspause Gelegenheit zum individuellen Stadtrundgang und Münsterbesuch gegeben war.


Aus Eichenholz geschnitzte Büsten des Seneca und Ptolemäus (re) im Chorgestühl des Ulmer Münsters. Die Arbeiten erfolgten zwischen 1468 und 1474 unter Jörg Syrlin d. Ä. (Foto: W. Mehlitz)

In der Folge wurden das Alpenvorland im Bereich der Iller-Lech-Platten und über Kempten und Füssen die nördlichen Kalkalpen durchquert. Dabei gab es vom Verfasser Erläuterungen zur Geologie und Geomorphologie des Raumes. Über den Fernpass und den Reschenpass erreichte man den Vintschgau (Val Venosta) und am Abend die Stadt Bozen und das Hotel im Stadtteil Gries, in dem die Gruppe für die Zeit des Aufenthaltes übernachtete.


Der Stausee am Reschenpass in Blickrichtung Süden zum Ortler-Massiv. Im Vordergrund der herausschauende Kirchturm der 1950 überfluteten Ortschaft Alt-Graun (Foto: P. Krämer)

Hier wartete Prof. Dr. Rainer Loose, Geograph und Historiker, der als ausgezeichneter Kenner Südtirols die fachliche Leitung der nächsten drei Tage übernahm.

Der folgende Tag begann mit einem Besuch des Südtiroler Landesarchivs, in dem die Exkursionsteilnehmer (42) von der Direktorin Frau Dr. Christine Roilo und vom Leiter des Staatsarchivs Dr. Harald Toniatti freundlichst empfangen und begrüßt wurden. Nach den einführenden Worten von Prof. Loose und des stellvertretenden Direktors, Herrn Dr. Gustav Pfeifer, durften die Besucher die handkolorierten Exemplare der österreichischen Katastralmappe Tirol - Brixener Kreis von 1855ff. im Maßstab 1:2.880 in Augenschein nehmen und bewundern – ein Umstand, der vor allem unter den anwesenden Kartographen Begeisterung auslöste und manche Erinnerung an ehemalige Berufszeiten weckte. Darüber hinaus wurde ein Band des Maria-Theresianischen Steuer-Peräquationskatasters aus der Zeit um 1775ff. vorgestellt.


Besuch beim Südtiroler Landesarchiv in Bozen. Dr. Pfeifer (2. v. li) erläutert einer Gruppe die ausgelegten handkolorierten Blätter der Österreichischen Katastralmappe Tirol (Foto: Chr. Eulberg)

Im Anschluss galten die folgenden Stunden einem Rundgang durch den Kernbereich von Bozen, bei dem Prof. Loose Entwicklung und Funktionen der Stadt den Teilnehmern näher brachte und nebst Siegesdenkmal, Streiter- und Laubengasse, Korn- und Waltherplatz bedeutende Bauten, wie Rathaus, Franziskanerkloster, Dominikanerkirche und Dom vorstellte.


Exkursionsgruppe beim Rundgang im romanisch-gotischen Kreuzgang des Franziskanerklosters in Bozen (Foto: W. Mehlitz)

Exkursionsteilnehmer in Bozen auf dem Weg durch die Laubengasse mit ihren Arkaden (Foto: W. Mehlitz)

Am frühen Nachmittag stand der Besuch der auf einem steil abfallenden Porphyrfelsen errichteten Burg Runkelstein auf dem Programm. Im Rahmen einer zweistündigen Besichtigung erläuterte Dr. Armin Torggler, Geschäftsführer der Stiftung Bozener Schlösser, insbesondere die eindrucksvollen Fresken, die von den damaligen Besitzern, den bürgerlichen Gebrüdern Vintler, Ende des 14. Jhs. angeregt wurden und heute den weltweit größten profanen Freskenzyklus des Mittelalters darstellen. Nebst höfischen Szenen sind im Westpalas Lanzen- und das Kolbenturnier und im so genannten Sommerhaus das Liebesepos von Tristan und Isolde sowie die Geschichte Garels vom blühenden Tal, einem Ritter von König Artus Tafelrunde, zur Darstellung gebracht.


Die 1237 erstmals errichtete, am Eingang des Sarntales auf einer Felshöhe gelegene Burg Runkelstein (Foto: P. Krämer)

Zum Abschluss des Tagesprogramms wurde das Archäologie-Museum in Bozen besucht, in dem neben archäologischen Funden aus dem Paläolithikum bis zur Karolingerzeit des Südtiroler Raumes insbesondere die weltberühmte Gletschermumie aus den Ötztaler Alpen, der so genannte Ötzi, der Mann vom Hauslabjoch, mit all seinen Gerätschaften und seiner Bekleidung zu bestaunen ist.

Der dritte Exkursionstag war dem Besuch des Vintschgaus mit seiner Siedlungsstruktur, Natur- und Kulturlandschaft sowie vor allem seiner romanischen Kunst gewidmet. Entlang des Etschtals und vorbei an Meran wurde als erste Station die romanische Kirche St. Prokulus in Naturns angesteuert. Hier erläuterte der Kirchenkustos Heinrich Koch in profunder wie erfrischender Weise die im Innern vorrangig aus vorkarolingischer Zeit stammenden Freskendarstellungen, den ältesten des deutschen Sprachraums und dem vollständigsten Zyklus früher sakraler Wandmalerei im Tirol.


Kirchlein aus dem 8. Jh. St. Prokulus in Naturns. Vorkarolingische Darstellung des Heiligen bei der Flucht über die Stadtmauer von Verona (Foto: W.-F. Bär)

Entlang von Weinbergshängen und Obstplantagen wurde die Ortschaft Laas erreicht, Standort des weit bekannten Laaser Marmors, dessen Reinheit und Verarbeitung bei einem Rundgang durch das Friedhofsgelände deutlich wurde. Das Gestein wird am Nördersberg im Untertagebau gewonnen.


Prof. Dr. Loose erläutert die Besonderheiten des Ortes Laas. Die Statue Josephs I. ist ein gutes Beispiel für den Marmorabbau am Nördersberg und dessen Verarbeitung (Foto: W. Mehlitz)

In Glurns (Glorenza), der kleinsten Stadt Tirols, angekommen gab es Gelegenheit zu einer kurzen Mittagspause und zum individuellen Rundgang. Der an der Etsch gelegene alte Ortskern ist vollständig von einer im Spätmittelalter errichteten Mauer mit Türmen und Stadttoren umschlossen.


Die Laubengasse mit ihren weiß getünschten Häuserfronten von Glurns, der kleinsten Stadt Südtirols (Foto: W. Mehlitz)

Kurz danach wurde die Grenze nach Graubünden/Schweiz überquert und in Müstair das Kloster St. Johann besichtigt, das zur Zeit der karolingischen Eroberungen im letzten Viertel des 8. Jhs. gegründet wurde und bis 1816 zum Bistum Chur gehörte. Das Toponym Müstair ist rätoromanisch und steht für Monasterium. 1983 wurde es von der UNESCO zum Weltkulturerbe deklariert. Seit dem 12. Jh. beherbergt es ein Konvent für Benediktinerinnen. Bei der Führung wurden zunächst die Außenpartien der Anlage erläutert, um im Anschluss im Innern der Klosterkirche auf die Skulptur Karls des Großen und speziell auf die sakralen Freskendarstellungen des frühen Mittelalters einzugehen.


Benediktinerinnenkloster St. Johann im Val Müstair in Schweizer Kanton Graubünden. Exkursionsteilnehmer bei der Betrachtung der Apsiden der Klosterkirche und des zinnengekrönten Planta-Turms (Foto: Chr. Eulberg)

Nur wenige Kilometer von Müstair entfernt erreichte die Reisegruppe die Anlage des auf 1340 m Höhe am Osthang des Watles gelegenen Benediktinerstifts Marienberg. Ziel war die beschränkt zugängliche romanische Krypta, deren Besichtigung auf Vermittlung von Prof. Loose zustande kam. Die Krypta, ein auf der Ostseite des Stiftes langgestreckter, relativ niedriger Raum mit fünf Jochen und einer nach Osten gerichteten Apsis wurde Mitte des 12. Jhs. geweiht und weist einen gut erhaltenen prächtigen sakralen Freskenschmuck auf, der der Maiestas Domini gewidmet ist. Abt Markus selber führte die Gruppe und erläuterte die zum Ende des 19. und 20. Jhs. erfolgten Freilegungsarbeiten sowie in zusammenfassender Weise die dargestellten Bildmotive.


Der hoch über Burgeis herausragende festungsartige Bau der Benediktinerabtei Marienberg, die höchstgelegene Anlage des Ordens in Europa (Foto: Chr. Eulberg)

Von Marienberg aus genießt man eine prächtige Aussicht in den Vintschgau mit den Orten Burgeis, Mals, Glurns, Schluderns sowie zur umliegenden Bergwelt der Ötztaler Alpen und der Ortler-Gruppe. Letzte Station der Tagestour war die mehrere Türme aufweisende Ortschaft Mals (Malles Venosta). Zur Abrundung des kunsthistorischen Themas wurde hier die kleine, vermutlich aus dem 8. Jh. stammende Kirche St. Benedikt aufgesucht. Die vorhandenen Fresken zählen zu den ältesten im deutschsprachigen Raum. Der Innenraum, ein schlichter rechteckiger Saal mit drei an der Altarwand eingehauenen Nischen weist an der Nord- und Ostwand Fresken lombardischer Maler aus dem 9. Jh. auf, die sowohl geistliche als auch weltliche Stifter darstellen. Die Kirche wurde oft übermurt, die Fresken durch Bodenfeuchtigkeit gefährdet.


Innenraum der St. Benedikt Kirche in Mals. An der Ostwand in den hufeisenförmigen Nischen sind links der Hl. Stephanus, in der Mitte Christus und rechts Papst Gregor der Große zur Darstellung gabracht, in den Zwischenflächen die beiden Stifter, ein fränkischer Grundherr in Tracht und der Bischof von Chur (Foto: W. Mehlitz)

Zurück in Bozen verbrachten alle Exkursionsteilnehmer den Abend gemeinsam bei einem lukullischen Essen im Hotel.

Für den letzten vollen Tag in Südtirol war ein Kontrastprogramm zu den Vortagen angesagt. Die Tagesfahrt führte im Etschtal durch die südlichen Stadtteile von Bozen und die randlichen Porphyrberge über Auer (Ora) und vorbei am Naturpark Trudner Horn hoch ins Fleimstal zunächst bis Cavalese, dem Hauptort des Gebietes. Hier wurde auf das frühere Bischofspalais mit seiner mit Wappen bemalten Hauptfassade aufmerksam gemacht und die im Gemeindepark unter Jahrhunderte alten Linden befindliche steinerne Banco della Reson (Tisch der Vernunft) mit ihren kreisförmig angeordneten Sitzreihen vorgestellt, ein Platz, der der Versammlung der Magnifica Comunità di Fiemme – so die italienische Bezeichnung von Cavalese – diente, um Gericht zu halten und an dem im 16. Jh. sogar Hexenprozesse stattfanden.


Im Park von Cavalese. Prof. Dr. Loose erläutert den Teilnehmern die Funktion des Banco della Reson, dem Versammlungsplatz des übergemeindlichen Zusammenschlusses Fleimstal (Foto: W. Mehlitz)

Die Weiterfahrt erfolgte – jetzt im ladinischen Sprachraum, auf dessen Entwicklung und Verbreitung Prof. Loose während der Fahrt einging – über Predazzo, Moena bis Canazei und ab hier steil hinauf zum Sella-Joch. Besonders hinderlich für den Bus machten sich die vielen Fahrräder – am Folgetag war im Grödner Tal ein Rennen angesagt – sowie die zahlreichen nicht abebbenden Motorradschlangen. Auf dem Joch angekommen wurde auf die geologische Struktur der Bergmassive sowie deren geomorphologischen Formenschatz hingewiesen. Bei klarer Sicht und Sonnenschein war es möglich, einen weiten Blick auf die faszinierende Berglandschaft zu genießen.


Blick über blühende Trollblumen nach NE zur Westflanke des Sella-Massivs und zur entfernter liegenden Geisler-Gruppe (Foto: A. Illert)

Über Wolkenstein erreichte man St. Ulrich (Ortisei), die größte Ortschaft im Grödner Tal. Unmittelbar nach der Mittagspause wurde hier das Museum Gherdëina besucht. Nach einer kurzen Einführung durch Frau Dr. Paulina Moroder zur Siedlungsgeschichte des Raumes stellten sie und Karl-Heinz Mureda den Teilnehmern das Museum mit seinen hervorragenden Holzschnitzarbeiten aus dem sakralen Bereich und den zahlreichen Objekten aus der traditionellen Spielzeugheimindustrie vor.


Im Museum Cësa di Ladins in St Ulrich. Kunstvoll und vielfältig sind die ausgestellten Schnitzgegenstände der traditionsreichen heimischen Spielzeugindustrie (Foto: W. Mehlitz)

Im Anschluss daran fuhr man mit der Standseilbahn zum Raschötz (Resciesa) hinauf, von dem aus die Exkursionsteilnehmer bei herrschender guter Fernsicht ein großartiges Dolomitenpanorama erlebten.


Blick von der Höhe des Raschötz auf die majestätische Dolomiten-Bergwelt mit der Sella-Gruppe, Marmolada und Langkofel. Im Vordergrund die Standseilbahn (Foto: W.-F. Bär)

Wieder im Tal wurde die Fahrt fortgesetzt, um im unweit gelegenen Lajener Ried bei einem Weinbauer eine Vesper mit einem Marendeteller und Südtiroler Krapfen einzunehmen. Von hier aus erfolgte die Rückfahrt direkt nach Bozen.

Der letzte Exkursionstag galt der Rückfahrt nach Frankfurt am Main. Die Strecke führte über den Brenner, das Inntal, Achern- und Tegernsee, wo die Mittagspause eingelegt wurde. Bedingt durch mehrere Staus – es war Fronleichnamswochenende – erreichte die Reisegruppe erst gegen 22:00 Uhr ihr Ziel, den Frankfurter Hauptbahnhof.

Werner-Francisco Bär, Oberursel (Ts)

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© Sektion Hessen der Deutschen Gesellschaft für Kartographie