Erzgebirge
Die traditionelle Jahresexkursion der Sektion Hessen, die vom 16.-19.9.2010 stattfand, führte ins Erzgebirge. An der Fahrt beteiligten sich insgesamt 42 Personen, darunter erneut auch Kollegen der Sektion Thüringen. Die Leitung hatten Prof. Dr. Wilhelm Lutz und Dr. Werner-F. Bär, beide ehemals Universität Frankfurt, Fachbereich Geowissenschaften/Geographie. Zu Fahrtbeginn wurde den Teilnehmern ein umfangreicher Exkursionsführer ausgehändigt, der nebst Stadtplänen vielfältige Informationen, Karten und Abbildungen zu den anzusprechenden Themen enthielt.
Die Anfahrt ins Erzgebirge erfolgte durch den Spessart, der main-fränkischen Schichtstufenlandschaft und den Frankenwald zunächst bis zur Stadt Schneeberg, an der eine längere Mittagspause eingelegt wurde, um den Teilnehmern genügend Zeit auch für einen individuellen Stadtrundgang zu geben. Zuvor hatte Prof. Dr. Lutz im Bus einführend den geologisch/geomorphologischen Aufbau des Erzgebirges und dessen Entwicklung zum Montangebiet erläutert sowie erste Anmerkungen zur Geschichte und Kultur des Raumes und speziell der Bergstadt Schneeberg gemacht. In diesem 1471 gegründeten, durch Bergbau und Schnitzkunst geprägten Ort sind besonders der lang gestreckte Markplatz mit seinen Randbauten, die spätgotische Hallenkirche St. Wolfgang mit einem Flügelaltar aus der Werkstatt des Lukas Cranach d. Ä., die barocken Gebäude Schmeil- und Bortenreuther-Haus und das Mitte des 19. Jhs. nach einem Brand wieder aufgebaute Rathaus sehenswert.
Der Nachmittag war der Besichtigung von Talsperren vorbehalten. Zuerst wurde der Stausee Eibenstock aufgesucht und dessen Ausdehnung und Einbettung in der Landschaft von der Höhe des schmalen, 34 m hohen „Glück Auf“-Turms am Bühlhaus in Augenschein genommen.
Diese Talsperre staut die Zwickauer Mulde und ist nach ihrem Volumen die größte im Freistaat Sachsen. Unweit südlicher konnte die bereits 1930 in Betrieb genommene und höchstgelegene Talsperre dieses Gebietes, die Talsperre Carlsfeld, besichtigt werden. Aufschlussreich sind auch die neben der Staumauer, mit eingeritzten Symbolen aus dem ehemaligen Siedlungsbereich „Weiterswiese“ versehene aufgestellten Grenzsteine. Abschließend wurde noch ein Blick auf den Stausee der 1949-52 im Rahmen eines Jugendobjektes der FDJ gebauten Staumauer Sosa – auch Talsperre des Friedens bezeichnet – geworfen. Wegen Sperrung konnte die Staumauer nicht erreicht werden. Alle drei Talsperren dienen vorrangig der Trinkwasserversorgung und dem Hochwasserschutz. Von hier aus erfolgte die Fahrt über Aue und durch die „Freie Republik Schwarzenberg“, eine sechs Wochen lang nach der Kapitulation 1945 weder von den Alliierten noch von den Sowjets besetztes Gebiet, zum Hotel nach Annaberg-Buchholz.
Der zweite Exkursionstag begann mit einem Rundgang durch den historischen Stadtkern von Annaberg-Buchholz. Nach Betrachtung eines der zahlreichen, in Sachsen aus Anfang des 18. Jhs. noch vorhandenen Meilensteinen erläuterte Prof. Dr. Lutz am Marktplatz Gründung, Werdegang, Struktur und wirtschaftliche Bedeutung des Ortes, bei dem vor allem der vormalige Bergbau und die Klöppelarbeit eine große Rolle spielten.
Die Klöppelarbeit wurde von Barbara Uthmann eingeführt, vor deren Denkmal die Reisegruppe stand. Der Silberbergbau, der hier 1492 einsetzte, sorgte vorrangig im 16. Jh. für ein starkes Ansteigen der Bevölkerung und des Reichtums in der Stadt. Vorbei am Geburtshaus von Adam Riese stand im Anschluss die Besichtigung der St. Annenkirche auf dem Programm, die zunächst mit der Turmbesteigung begann. Auf der Höhe der Aussichtsterrasse wurden von der Türmerin, Frau Melzer, deren Wohnung sich oberhalb des Glockenstuhls befindet, interessante Aspekte ihrer Tätigkeit angeschnitten. Die anschließende Führung in der prunkvollen Hallenkirche übernahm Frau Schelter, die auf spannende Weise die Kleinode des reichhaltigen Bauinneren vorstellte, darunter die Kanzel, den Taufstein, die Emporengalerie mit den männlichen und weiblichen „Lebensalter“-Stufen, der so genannten „Schönen Tür“, den Hauptaltar und vor allem den Bergknappschaftsaltar von 1521 mit dem auf seiner Rückseite von Hans Hesse dargestellten Arbeitsablauf des Bergbaus und seinen Symbolbezügen.
Nach der Besichtigung von St. Annen wechselte die Gruppe nur die Straßenseite und begab sich zum Silberbergwerk „Zum Gößner“, um – eingekleidet mit blauem Kunststoffumhang und Schutzhelm – in drei Gruppen nacheinander in die Tiefe zu steigen und die Arbeitswelt des Bergmanns kennen zu lernen.
Nach den vielen Eindrücken und einer kurzen Mittagspause galt der Nachmittag einer Fahrt auf den Fichtelberg und ins tschechische Grenzgebiet. Auf der Fahrt dorthin wurde bei Königswalde ein kurzer Halt eingelegt, um vom erhöhten Standort die imposante Feldflur der Waldhufensiedlung zu bestaunen, ein großartiges Beispiel für eines der im Hochmittelalter gerodeten und in Streifen angelegten Felder.
Bei der Durchquerung von Oberwiesenthal, der höchst gelegenen Stadt Deutschlands, wurde auf deren Bedeutung für den Wintersport und ihren strukturellen Wandel hingewiesen. Auf dem rd. 1215 m hohen Fichtelberg angelangt gab es bei guter Sicht von Prof. Dr. Lutz Erläuterungen zum geologischen und geomorphologischen Aufbau des Erzgebirges.
Die Inschrift auf der hier aufgestellten Säule weist auf die 1864 abgeschlossene Mitteleuropäische Gradmessung hin.
Bereits auf tschechischem Gebiet wurden Halte in drei ehemaligen Bergbauorten eingelegt: in Boží Dar (Gottesgab) am 1936 errichteten Denkmal des Heimatdichters Anton Günther, in Horni Blatná (Bergstadt Platten) am zentralen Platz der St. Laurentius Kirche und in Jáchymov (St. Joachimsthal) – der „Geburtsstätte“ des Talers – an den Kuranlagen und im nordwestlichen Altstadtbereich.
Dabei wurden Fragen des starken Bevölkerungsschwundes, des sich ergebenden Strukturwandels und des aufkommenden Fremdenverkehrs besprochen. Bei Ostrov im Egergraben schließlich ließ sich bei guten Beleuchtungsverhältnissen eindrucksvoll der süd-/südöstliche Steilabfall des Erzgebirges ausmachen. Von hier aus führte der Weg zurück nach Annaberg-Buchholz, wo der Abend zur freien Verfügung stand.
Am folgenden Tag stand die Besichtigung mehrerer Städte auf dem Programm. Der erste Halt erfolgte in der im Renaissancestil aufgebauten Stadt Marienberg, die durch den hier 1521 beginnenden Silberbergbau Bedeutung erlangte. Vor dem Rathaus auf dem quadratischen Marktplatz gab Prof. Dr. Lutz Erläuterungen zur Gründung und Entwicklung des Ortes, ehe die Gruppe zu einer individuellen Ortserkundung ausstreute.
Nach einem kurzen Abstecher nach Warmbad, der ältesten Therme Sachsens, galt der nächste Halt dem Besuch von Wolkenstein mit der 1687 errichteten St. Bartholomäus-Kirche und seiner, auf einem Bergsporn über dem Zschopautal gelegenen renaissancezeitlichen Schlossanlage.
Der Zufall wollte es, dass eine Kolonne prachtvoller Oldtimer auf dem Weg zu einem Treffen im Schloss an den Exkursionsteilnehmern vorbeifuhr. Entlang des idyllischen Zschopautals führte die Fahrt nach Zschopau, eine der ältesten Industriestätten des sächsischen Raumes. Hier stand zunächst die Begehung der am südwestlichen Berghang gelegenen, von J. S. Rasmussen ins Leben gerufenen „DKW-Siedlung“ als Werkssiedlung des Motoradwerkes auf dem Programm. Dabei wurden Fragen zur industriellen Entwicklung im 19. und 20. Jh. erörtert (Bodemer Baumwollspinnereien, Entwicklung des kleinen Zweitaktmotors durch H. Ruppe, DKW als größte Motorradfabrik der Welt, Auto Union). Vorbei am ehemaligen DKW-Werk im Stadtzentrum angelangt wurde das Schloss Wildeck aufgesucht und von einigen Exkursionsteilnehmern der 31 m hohe Bergfried, der „Dicke Heinrich“, in dem auf Tafeln über dessen Geschichte informiert wird, bestiegen. Nach dem anschließenden individuellen Rundgang durch die Innenstadt von Zschopau erfolgte die Weiterfahrt nach Chemnitz (1953-1990 Karl-Marx-Stadt), Keimzelle der Industrialisierung in Deutschland und mit 243 000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Sachsens. Hier wurde zunächst im Rahmen des Themas Industriealisierung im Stadtteil Schloßchemnitz die aus dem 19. Jh. stammende und unter Denkmalschutz stehende Hartmann-Werkswohnsiedlung an der Gottfried-Keller-Straße aufgesucht sowie deren Gründung und heutiger Baubestand diskutiert.
Nach einer anschließenden kurzen Stadtrundfahrt, bei der vorrangig die architektonische Moderne mit ihren Industriebauten zur Sprache kam, wurde das Zentrum von Chemnitz für einen individuellen Rundgang angesteuert. Diese im Strukturwandel begriffene Stadt zeigt einen seit der Wende neu gestalteten Ortskern, der sich aus historischer Bausubstanz und modernen Geschäftshäusern zusammensetzt und mit dem DIFA-Award für innerstädtische Quartiere bedacht worden ist. Rund um den Marktplatz und das Doppelrathaus (Altes Rathaus von 1496-98, Neues Rathaus 1908-11) wurden zahlreiche Einzelhandelgeschäfte und Einkaufszentren neu angesiedelt. Als weitere Anziehungspunkte der Innenstadt zählen der mittelalterliche „Rote Turm“, das Wahrzeichen der Stadt (wegen Renovierungsarbeiten leider eingehüllt), die Stadtkirche St. Jakobi, das Siegert’sche Haus mit prachtvoller Barockfassade sowie das etwas am Rande der City gelegene, 1971 eingeweihte gewaltige Karl-Marx-Denkmal des russischen Künstlers Lew Kerbel. Den Abend verbrachten die Exkursionsteilnehmer gemeinsam bei einem lukullischen Buffet in der Hotelgaststätte.
Der Vormittag des letzten Exkursionstages war dem Besuch der Stadt Freiberg gewidmet. Nach einem von Prof. Dr. Lutz geführten Rundgang, bei dem der geschichtliche Werdegang, die Struktur sowie die kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung der Stadt zur Sprache kamen, stand gegen Mittag die Besichtigung des Domes St. Marien auf dem Programm.
Ein Orgelspiel von Katharina Schröder auf der ältesten Silbermannorgel zu Beginn der Führung sorgte für die richtige Einstimmung. Frau Gaedt, die die Führung übernahm, hat es ausgezeichnet verstanden, der Reisegruppe die Kunstschätze des 1501 geweihten Domes näher zu bringen. Erläutert wurden vorrangig die große und die kleine Silbermannorgel, der Figurenzyklus der Klugen und Törichten Jungfrauen, die barocken Fürstenlogen, die Tulpen- und die Bergmannskanzel, die Fürstengrablege sowie – in detaillierter Weise – die so genannte „Goldene Pforte“, das prächtige, um 1230 geschaffene Westportal der ehemaligen romanischen Marienkirche, das früheste Stufenportal im deutschsprachigen Raum mit Figurenplastik.
Unmittelbar nach dem Höhepunkt des Dombesuchs wurde die Rückreise angetreten. Über Hof, Bamberg und Schweinfurt wurde gegen 20:30 Uhr das Ziel Frankfurt am Main erreicht.
Werner-Francisco Bär, Oberursel (Ts)