Vom Egge-Gebirge zur Weser
Die Exkursion 2003 der Sektion Hessen führte unter Leitung von Prof. Dr. Jürgen Runge vom Institut für Physische Geographie der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main in 2 Tagen durch 400 Mio. Jahre Erdgeschichte und 1000 Jahre Menschheitsgeschichte. Ein gewaltiges Pensum!
Bei klarem sonnigen Spätsommerwetter trafen sich 28 Teilnehmer am Frankfurter Hauptbahnhof zur Fahrt nach Paderborn. Unterwegs wurden weitere Teilnehmer begrüßt, besonders herzlich 5 Gäste von der Sektion Thüringen. Für die Fahrt durch die Wetterau, über Gießen, Marburg, die Rhein-Weser-Wasserscheide bei Frankenberg, weiter über Korbach, Arolsen und Lichtenau nach Paderborn benötigte der Bus mehr Zeit als geplant und machte somit eine erste Umstellung im Programm nötig. Anstatt erst die Paderquellen zu erkunden, eilte die Gruppe zum Paderborner Dom, wo 2 Stadtführerinnen schon ungeduldig warteten.
Der Stadtrundgang begann mit der Besichtigung des Doms, einer 3-schiffigen Hallenkirche mit zwei Querhäusern und einem mächtigen romanischen Turm aus dem 13. Jahrhundert. Die Krypta ist der Aufbewahrungsort der Reliquien des hl. Liborius, Schutzpatron der Stadt und des Erzbistums. Im Innenhof des Kreuzgangs befindet sich ein weiteres Wahrzeichen der Stadt - das Drei-Hasen-Fenster aus dem 16. Jahrhundert: „Der Hasen und der Löffel drei, und doch hat jeder Hase zwei“.
Auf der Nordseite des Doms finden sich die Überreste der karolingischen Königspfalz, dem Platz, wo Karl der Große 777 die erste fränkische Reichsversammlung auf sächsischem Boden abhielt. Von dieser Pfalz sind nur noch die Grundmauern des einstigen Saalbaus erhalten. Dahinter steht die rekonstruierte ottonisch-salische Kaiserpfalz aus dem 11./12. Jahrhundert, die das Museum der Kaiserpfalz beherbergt. Zwischen Kaiserpfalz und Dom versteckt sich die Bartholomäuskapelle, die durch ihre außergewöhnliche Akustik verblüfft. Danach wandte sich die Führung profanen Bauten der Stadt zu. Am Marienplatz konnte das Heisingsche Haus, ein Bürgerhaus im Stil der Weserrenaissance und seine mit bildhauerischen Arbeiten üppig geschmückten Fassade bewundert werden. Das Rathaus, ebenfalls ein solches Gebäude aus dem 17. Jahrhundert versteckte sich leider hinter einem Baugerüst, dafür rückten im Inneren die gravierten Milchglasfenster „Bischof“, „Kaiser“ und „Hansemann“ ins Interesse der Betrachter. Am barocken „Kump“ (Brunnen) vor dem Rathaus endete nach 1,5 Stunden die Führung durch die Geschichte der Stadt. Nach einer kurzen Mittagspause - in der sich viele Teilnehmer zu einem Stehimbiss in einer Bäckerei zusammenfanden - führte der Weg zurück zum Bus vorbei an den Paderborner Karstquellen, die die Entwicklung der Stadt begünstigten. Die Paderquellen liegen an der Grenze offener/bedeckter Karst. Prof. Runge erläuterte ausführlich die Entstehung und die wissenschaftlichen Untersuchungen des Karst-Aquifersystems im Raum Paderborn. Besonderes Interesse riefen die Markierversuche hervor: Tracer wurden in die Bachschwinden auf der Paderborner Hochfläche eingebracht und ihre Durchgänge in den Paderquellen registriert, um das Einzugsgebiet und den Lauf des Wassers zu bestimmen.
Nach diesen Ausführungen waren alle gespannt, Erdfälle, Ponore und Klufthöhlen auf der Paderborner Hochfläche zu sehen. Wenige Meter vom Grundsteinheimer Steinbruch liegt das trockene Bett des Flüsschens Sauer, das nur Wasser führt, wenn mehr Wasser vom Himmel fällt als der Karst aufnehmen kann. Kaum zu glauben, das Wildwasserfahrten hier möglich sein sollen!
Am Prallhang des Flussmäanders wird von einem Grundsteinheimer Verein seit vielen Jahrzehnten eine Klufthöhle erforscht. Gebannt lauschten die Teilnehmer Herrn Berszuck’s Geschichten und Anekdoten. Die Hobby-Höhlenforscher entdeckten Mitte der 80er Jahre ein Skelett in der Höhle und bargen neben Knochen auch eine Gürtelschnalle. Nachforschung von Polizei und Archäologen ergaben, dass die Menschen schon vor mehr als 400 Jahren von dieser Höhle gewusst hatten. Vermutlich bei einem der damals noch zahlreichen Erdbeben wurden Willi und sein Hund in der Höhle begraben.
Gegen welche geotechnischen Problemen heutzutage angekämpft werden muss, erfuhren die Exkursionsteilnehmer von Dipl.-Ing. Krasselt auf der Baustelle des neuen Eisenbahn-Egge-Tunnels bei Willebadessen. Bereits vor 150 Jahren hatte man schon einmal die Durchquerung des Eggegebirges mit Hilfe eines Tunnels geplant und zu bauen begonnen. Eine private Eisenbahngesellschaft arbeitete an der „Cöln-Minden Thüringischen Verbindungsbahn“. Sie sollte auf ihrer Strecke von Lippstadt über Paderborn und Lichtenau nach Warburg mit einem 600 m langen Tunnel von Westen nach Osten durch die Egge führen. Akuter Geldmangel im Jahre 1848 zwang die Gesellschaft zur Einstellung aller Arbeiten. 1850 verkaufte man das Projekt an den Preußischen Staat, allerdings entschied sich die Preußische Staatsbahn für eine neue Trasse von Süd nach Nord, da die Lokomotiven inzwischen größere Steigungen überwinden konnten [Wichert-Pollmann, 1998]. Leider reichte die Zeit nicht, um die Überreste dieses Baus selbst in Augenschein zu nehmen. Der neue Egge-Tunnel soll diese Trasse ersetzen, deren Sanierung wegen Hangrutschungen wirtschaftlich nicht sinnvoll erscheint. Der gesamte Neubauabschnitt ist 13 km lang und enthält mehrere Brückenbauwerke und den 2880 m langen Tunnel. Anhand der Baupläne erklärte Herr Krasselt die einzelnen Bauabschnitte und die zu lösenden geotechnischen Probleme, Naturschutzvorgaben und den Umgang mit historischen Hinterlassenschaften in Form von Flieger- und Brandbomben aus dem 2. Weltkrieg sowie dem aufwendigen Rettungskonzept für den Tunnel. Der Tunnel wurde nach dem neuesten österreichischen Konzept von beiden Seiten gleichzeitig vorgetrieben - von Norden im Ulmen- und von Süden im Kalottenvortrieb. Wegen der schwierigen geologischen Verhältnisse wurde jeder Abschlag sofort mit wasserundurchlässigem Spritzbeton abgesichert.
Als eine der letzten Gruppen durften wir einen Teil des Tunnels und der Rettungsanlagen begehen, bevor ab Dezember 2003 Bahnreisende mit 160 km/h durch den Tunnel rasen - ohne Kenntnis der schwierigen geologischen Verhältnisse, die Planern, Geologen und Baufachleuten soviel Kopfschmerzen bereitet haben.
Den Kopf gefüllt mit Bildern und Fakten, aber leerem Magen erreichten wir das Hotel „Hubertushof“ in Herbram-Wald. Bei einem reichhaltigen Buffet konnte das körperliche Wohlbefinden wiederhergestellt und die zahlreichen Eindrücke ausgetauscht werden.
Am nächsten Morgen verhießen Regen und Nebel keine guten Aussichten für das Tagesprogramm. Obwohl bei Ankunft im Windpark auf der Paderborner Hochfläche von diesem nicht viel zu sehen war, ließ niemand den Kopf hängen. Nach einer kurzen Einführung von Prof. Runge zum Thema „Relief und Windenergie“, erzählte Herr Böddeker, der Betreiber zweier Windkraftanlagen, ausführlich von der Anschaffung und dem Aufbau solcher Anlagen und erläuterte die technischen Parameter. Interessierte Fragen wurden vor allem zur Höhe der Investitionskosten, Laufzeit, Amortisation und Zusammenarbeit mit Energieversorgern und Behörden gestellt. Zum Abschluss der Diskussion durfte jeder einen Blick auf die Technik im Inneren eines Windrades werfen.
Auf der Fahrt zur Iburg riss der Himmel immer weiter auf und ließ mehr und mehr Sonnenstrahlen hindurch. So hatten wir einen herrlichen Blick von der Iburg auf den Driburger Kessel mit Bad Driburg. Der Blick bis zum Solling-Gewölbe blieb jedoch versperrt.
Gelegenheit zu einer gesunden Erfrischung bot ein kurzer Stop an einem Säuerlingsbrunnen bei Herste, zu dem Fürstbischof Ferdinand v. Fürstenberg 1662 schrieb:
„Glänzender selbst als Kristall gleitet der Sprudel dahin. Lindernd für Gluten der Leber und schmerzliche Krämpfe des Magens. Schafft er den Nieren erkrankt, kräftige Hilfe sogleich.“
Oberhalb von Höxter verließ eine wanderfreudige Gruppe den Bus, um über den Ziegenberg mit Bismarckturm und die Abrissspalte „Sachsengräben“ ins Wesertal abzusteigen Das Mittagessen im Hotel Weserberghof in Höxter war eine willkommene Stärkung nach dem strammen Fußmarsch talabwärts!
Danach erkundeten wir in 2 Gruppen unter sachkundiger Führung Schloss und Kloster Corvey. Der Name Corvey verweist auf die Gründungsgeschichte des Klosters im Weserbogen, denn Corbeia hieß sein Mutterkloster im heutigen Corbie an der Somme im nördlichen Frankreich. Im Jahre 822 begannen die Mönche mit den Bauarbeiten im Wesertal nach einem ersten gescheiterten Versuch im Solling. 836 wurden die Reliquien des heiligen Vitus aus St.-Denis bei Paris nach Corvey übertragen. In das neue Kloster traten zahlreiche Angehörige sächsischer Adelsfamilien ein und seine geistige und wirtschaftliche Rolle wuchs. Der 30jährige Krieg führte zum völligen Niedergang des Klosters. Nach erfolgreicher Konsolidierung und stattlichem Neubau im Barockstil erfolgte 1803 die Säkularisation. Auf dem Wiener Kongreß wurde Corvey dann Preußen zugesprochen. 1818/20 übergab der preußische König die Corveyer Güter an den Landgrafen Viktor Amadeus von Hessen-Rotenburg.
Die wechselvolle Geschichte spiegelt sich in der Architektur der gesamten Anlage. Das Westportal mit der Kaiserkirche ist das einzige mittelalterliche Bauteil, das erhalten blieb. Interessant sind vor allem Ornamentreste und figürliche Malerei, die auf eine farbenprächtige Ausstattung schließen lassen. An das Portal schließt sich eine schlichte, einschiffige Barockkirche aus dem 17. Jahrhundert an. Die barocke Ausstattung in rot marmorierter und goldiger Farbigkeit steht im Gegensatz zu der zurückhaltenden Architektur. Auf dem Friedhof südlich der Kirche befindet sich das Grab Hoffmann von Fallersleben, der von 1860 bis zu seinem Tod 1874 in Corvey als Bibliothekar wirkte. Durch den Äbtegang, so genannt nach den hier hängenden Portraits aller 65 Äbte von 822 bis 1794, gelangt man vom Klosterbau im Süden zum Schloss im Norden. Hier imponiert der Kaisersaal den Besuchern mit seinen Stuckornamenten und Freskogemälden. An den Stirnwänden sind in ganzer Figur die Stifter, Karl der Große und Ludwig der Fromme, dargestellt, dazwischen in ovalen Medaillons 18 weitere Kaiser, die engere Beziehungen zu Corvey hatten. Zum Abschluss der Führung gelangt man in die Bibliothek, die eine Büchersammlung von 70.000 Bänden des 19. Jahrhunderts umfasst und ihrerseits heute von großem wissenschaftlichen Wert ist.
Danach fuhren wir Weser aufwärts nach Hann. Münden, wo am Weserstein unser Exkursionsprogramm endete:
„Wo Werra sich und Fulda küssen
sie ihren Namen büßen müssen
und es entsteht aus diesem Kuss
deutsch bis zum Meer der Weser Fluss“
Nach einem abschließenden kurzen Stadtbummel durch die hübsche Altstadt von Hann. Münden traten wir die Rückfahrt nach Frankfurt am Main an, wo die Fahrt um 21:30 Uhr am Frankfurter Hauptbahnhof zu Ende ging.
Herzlich danken möchten wir an dieser Stelle Herrn Prof. Dr. Jürgen Runge für die abwechslungsreiche und spannende Leitung der Exkursion, der Stadtinformation Paderborn für den Ausflug in die Geschichte der Stadt, Herrn Berszuck vom Grundsteinheimer Verein für die Geschichten aus der Unterwelt, Herrn Krasselt für den tiefen Einblick in die Arbeit am Egge-Tunnel und Herrn Böddeker für den Einblick in die Welt der erneuerbaren Energie sowie dem Schloss Corvey für die faszinierende Führung durch Geschichte und Architektur von Schloss und Kloster.
Anja Hopfstock, Freigericht